SCHIENE regional - Bahnthemen Südwest

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Vom Aufstieg und Niedergang einer beliebten Zuggattung

Blaue Stunde in Gengenbach
Blaue Stunde in Gengenbach an der Schwarzwaldbahn

InterRegio: 12 Jahre Tempo und Komfort auf der Schwarzwaldbahn

Am 28. Mai 1989, einem schönen Frühlingssonntag, erweckte eine neue Zuggattung die Aufmerksamkeit der Bahnfahrer und der überraschten Spaziergänger im Verlaufe der Schwarzwaldbahn. Ungewohnt leise huschte ein blaues Band mit heller Bauchbinde über die Gleise der Mittelgebirgsstrecke. Im Kursbuch standen im Sommerfahrplan fünf Zugpaare mit dem Kürzel IR. "Das neue Angebot mit Tempo und Komfort - InterRegio - im Zweistundentakt zwischen Kassel und Konstanz" wurde im Fuß der Fahrplantabelle erklärt. Der Zweistundentakt blieb eines der Markenzeichen des IR in ganz Deutschland, auch wenn er in unserer Region bis zum folgenden Fahrplanwechsel nur durch die Ergänzung mit drei D-Zugpaaren ermöglicht werden konnte.

Mit dem Angebot InterRegio sollte gegen Ende der Achtzigerjahre ein Stück des alten Miefs der Bahn verdrängt werden. Die überholten Gattungen Personenzug, Eilzug, D-Zug und Fernschnellzug hatten zu verschwinden, neue Produkte, Farben und Namen waren gefragt. Das InterCity-Netz mit einem deutschlandweiten Stundentakt zwischen den Großstädten seit 1979 war gut von den Kunden angenommen worden. Für den Urlauberverkehr wurden Fernexpress-Züge in ausgesuchten Relationen zwischen Nord- und Süddeutschland eingerichtet, aber das übrige Erscheinungsbild der Deutschen Bundesbahn blieb bescheiden. Die Eilzüge hatten ihre Sonderstellung gegenüber den Personenzügen in den vorangegangenen Jahren beinahe vollständig eingebüßt, denn sie hielten inzwischen an nahezu jedem Bahnsteig. Der InterRegio sollte die entstandene Lücke zum IC/EC schließen und den in die Jahre gekommenen D-Zug verdrängen.

InterRegio 1991 auf der Schwarzwaldbahn Das BÜ-abhängige Ausfahrtsignal N2 in Gengenbach zeigt noch Hp00 - bremsen! (Foto pa/91)

Sensationell in mehrfacher Hinsicht setzte die Bundesbahn den InterRegio am 23. September 1988 zwischen Hamburg und Kassel erstmals auf die Schienen. Mit der Schnellfahrlokomotive E103 beschleunigten die im Vergleich zum InterCity kürzeren Züge sehr schnell auf 200 Stundenkilometer. Trotz des dichteren Haltestellenabstands durch eine Bedienung wichtiger Städte zwischen den IC-Knotenbahnhöfen konnten damit sehr attraktive Fahrzeiten eingehalten werden. Auch das äußere Erscheinungsbild der Züge überzeugte auf Anhieb. Während der InterCity Mitte der Achtzigerjahre mit modischen Rottönen von kurzer Lebensdauer ausgestattet und der Nahverkehr mit einem heute noch zu beobachtenden undefinierbaren grün verunstaltet wurde, bekam der InterRegio einen blauen Farbanstrich, der sich bis heute bewährt hat.

Bistro im InterRegioBesonders positiv aber war die Resonanz der Fahrgäste auf die überraschende Innenausstattung. Der Zugreisende kannte seit nahezu zehn Jahren die erste Generation der IC-Großraumwagen für die zweite Wagenklasse, die zwar relativ bequeme Sitze, aber eine enge und unstrukturierte Bestuhlung enthielten. Ganz anders der InterRegio, der in jedem Wagen fünf Abteile und drei Großraumbereiche anbot. Überall im Wagen gab es die Verwirklichung neuer Ideen zu bestaunen. Vorbei an Schließfächern in den Eingangsbereichen und den Abteilen führt der Seitengang in die Großräume mit mehreren Sitzgruppen. Ein freundliches Farbkonzept, helle Wände und Decken mit einzeln schaltbaren Energiesparleuchten lassen das dunkle Rotbraun der alten D-Zugwagen schnell vergessen. Erhöhte Kindersitze an den Fenstern und stabile Holztische in Großräumen und Abteilen machen die Fahrt auch mit Kindern zu einem positiven Erlebnis. Der Verzicht auf einen Sitzplatz pro Abteil ermöglicht eine versetzte Sitzanordnung und bietet endlich Bein- und Bewegungsfreiheit.

Vielbeachtet bei Fahrgästen und der internationalen Fachwelt ist das Konzept "Bistro-Wagen". Eine gelungenen Mischung aus Caféteria mit kommunikationsfördernden runden Tischen, Stehimbiss und Bar wird ergänzt durch einen 1. Klasse-Bereich und ein Dienstabteil mit Funkverbindung zur Betriebsleitung. Besonders bemerkenswert ist aber der Einstiegsbereich mit extra breiter Eingangstür, breitem Gang und einer großen Behindertentoilette neben dem Dienstabteil. Für Rollstuhlfahrer wird endlich Reisequalität geboten.

Wirklich sensationell aber ist beim InterRegio-Wagen die Verschmelzung von Technik, Ästhetik, Ökonomie und Ökologie zu einer harmonischen Einheit. Die Umsetzung der vielen neuen Ideen erfolgte nämlich auf der Basis alter D-Zugwagen. Das neue Innenleben und die moderne Technikausstattung lassen nur noch für den Fachmann Rückschlüsse auf die einstigen Spenderfahrzeuge zu. So verrät zum Beispiel die asymmetrische Fensteranordnung des Bistro, dass dieser Wagen in seinem "Vorleben" mehrere Jahrzehnte als "ABm 225" in D-Zügen durch Deutschland gezogen worden ist.

Recyling war bei der Eisenbahn schon lange vor dem Umbau der InterRegio-Wagen Tradition. Besonders nach den Kriegen waren die Bahnverwaltung zum Fahrzeugneubau aus alten Beständen gezwungen. Im Ausbesserungswerk Offenburg, am Fuße der Schwarzwaldbahn, wurden bis in die letzten Jahre seines Bestehens Bauzugwagen aus abgestellten Personenwagen gefertigt. Für das Projekt InterRegio wurden allerdings auch unternehmerisch zukunftsweisende Wege beschritten. Die PFA Weiden, Planungs- und Produktionsgesellschaft für innovative Fahrzeugausstattungen, wurde 1985 gemeinsam von der damaligen Deutschen Bundesbahn und der Flachglas AG gegründet. Damit stellt die PFA ein gelungenes Pilotprojekt zur Privatisierung eines Bundesbahn-Ausbesserungswerkes dar. Etwa 200 neue Mitarbeiter und 300 Eisenbahner des ehemaligen AW Weiden arbeiteten anfangs in der fast 10 000 Quadratmeter großen Fertigungshalle an bis zu 36 InterRegio-Wagen gleichzeitig. IR-Zuglaufschild Bis 1990 erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten weiter und brachte einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung für die Grenzregion in der Oberpfalz. Täglich verließ einer von insgesamt 1000 runderneuerten Wagen auf den leisen Radreifen der neuen Drehgestelle für 200 km/h Höchstgeschwindigkeit das Werksgelände. Nach der Wiedervereinigung wurden zusätzlich auch Fahrzeuge der ehemaligen Deutschen Reichsbahn in das Umbauprogramm aufgenommen, ausgeführt allerdings in Werken der ehemaligen DDR.

Das Angebot an InterRegios, 1988 auf wenigen Strecken eingeführt, erreichte 1995 mit über 400 Zügen auf 24 Linien seinen Endausbau. Im zweiten Jahr nach der Strukturreform der Bahn wurden im InterRegio 62 Millionen Fahrgäste befördert. Im Vergleich dazu bilanzierte die neue Deutsche Bahn AG im InterCity 49 und im ICE 23 Millionen Reisende. Die Zahlen zeigen deutlich, dass der InterRegio ein vom Bahnkunden gut angenommenes Produkt ist. Trotzdem begann schon Mitte der Neunzigerjahre aus unterschiedlichen Gründen der Abstieg durch Ausdünnung und Angebortsverschlechterung. Nur vereinzelt wurden noch Linien verlängert. Warum betreibt die Bahn das Aus einer besonders erfolgreichen Zuggattung? Eine kurze und doch den Kern treffende Antwort könnte lauten: "Weil es d i e Bahn nicht mehr gibt".

PFA Weiden PFA Werkfoto mit Umbau von InterRegio-Wagen in der gleislosen Halle

Wurde das 1985 beschlossene Konzept InterRegio ("Fernverkehr mit Bedienung der Regionen") durch die Wiedervereinigung zwar gründlich durcheinander gewirbelt, so brachte die Wende und der Zusammenschluss der Deutschen Bundesbahn und Deutschen Reichsbahn zunächst einen unerwarteten Aufschwung für diese Zuggattung. Vollkommen anders wirkte sich dagegen die Bahnreform mit der Umwandlung der Deutschen Bundesbahn in die Deutsche Bahn AG 1994 und die Regionalisierung des Nahverkehrs 1996 aus: Während die Länder, ausgestattet mit den entsprechenden Bundeszuweisungen, seither die Planung und Bestellung des öffentlichen Personennahverkehrs eigenverantwortlich durchführen, muss sich der Unternehmensbereich DB Reise&Touristik AG (Fernverkehr) durch ein unternehmerisch kalkuliertes Verkehrsangebot am Markt behaupten. Der InterRegio auf der Schwarzwaldbahn bedient, da genügt ein vergleichender Blick in den Fahrplan, die Strecke mit wenigen Ausnahmen wie ein Regionalexpress. Seit Oktober 1999 kann der blaue Zug zwischen Hornberg und Offenburg sogar mit dem Nahverkehrsticket des Ortenauer Tarifverbunds ohne Aufpreis benutzt werden. Der Unterschied ist für den Fahrgast nur bezüglich des Komforts erkennbar, denn der eigenwirtschaftlich arbeitende Fernverkehr bietet gegenüber dem vom Land bestellten Nahverkehrszug erheblich höhere Qualität und Ausstattung. Folglich ist es gleichermaßen verständlich, dass der Fernverkehr sein "Nahverkehrsangebot" an die Länder abdrücken möchte, die wiederum zur Aufrechterhaltung des Fahrplanangebots zusätzliche Bundesmittel aus dem Regionalisierungstopf verlangen.

Ziel der Unternehmensführung der DB, dargelegt im Konzepte MORA (marktorientiertes Angebot), ist die Streichung von 16 Millionen Zugkilometern ab 10 Juni 2001 und weiteren 23 Millionen bis 2003. Die einseitige Präferenz zugunsten der ICE- und IC-Züge ist dabei nicht einsichtig, denn nur 5% der Zugreisenden des Fernverkehrs fahren weiter als 300 km und können damit Zeitvorteile aus dem schnellen ICE-Verkehr ziehen. Die Streichung der InterRegios bedeutet allerdings für viele Kunden auf den Strecken mit parallelem IC/ICE-Angebot eine deutliche Fahrpreiserhöhung, teilweise sogar bei gleichzeitiger Verlängerung der Fahrzeit.

Neben dem für Außenstehende absurden und künstlich durch die Bahnreform herauf beschworenen Argument, dass der InterRegio zu viele Nahverkehrsleistungen erbringt, gibt es weitere Gründe für den Abstieg dieser Zuggattung auf der Schwarzwaldbahn - und nicht nur dort. Für viele Reisende zwischen Bodensee und Rheinebene beginnt in Offenburg die Fernreisewelt. Dort halten die InterCities nach Frankfurt Flughafen, Köln, Ruhrgebiet und Niederlande, dort gibt es ICE-Anschlüsse nach Hamburg und Berlin. In den Anfangsjahren des InterRegio wurde dieser Tatsache Rechnung getragen durch einen Umsteigeknoten in Offenburg. Der IR kam vor dem IC/EC in Offenburg an und fuhr einige Minuten nach der Anschlussaufnahme wieder ab. Der Aufenthalt wurde genutzt, um den Zug bei der Fahrt in Richtung Norden um zwei Wagen zu verstärken. In Gegenrichtung wurde der Zug vor der Bergfahrt über den Schwarzwald mit immerhin 673 m Höhenunterschied "erleichtert". Seit der Blockbildung in fest gekuppelten Wendezügen sinkt durch das höhere Sitzplatzangebot bei gleichbleibender Anzahl von Fahrgästen die relative Auslastung der Züge erheblich. Da bereits einige Jahre vorher der Umsteigeknoten von Offenburg nach Frankfurt verlagert wurde, die Fernzüge aus dem Rheinland aber in beide Richtungen einen Anschluss auf Regionalzüge finden, geht auch die absolute Auslastung weiter zurück. Beide Maßnahmen zusammen führten in den vergangenen Jahren zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation des InterRegios.

Schließlich sind zwölf Jahre "Tempo und Komfort" auch zwölf intensive Betriebsjahre der InterRegio-Wagen. Mit deutlich steigendem Unterhaltungsaufwand ist daher in naher Zukunft zu rechnen. In einem Unternehmen des Jahres 2000, das nicht gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Verantwortung zu tragen hat, sondern einen Börsengang und damit die Rendite der zukünftigen Aktionäre als Unternehmensziel sieht, reagiert die Führung folgerichtig: Der InterRegio wird abgeschafft!

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|  Die Geschichte des InterRegio
|  Rückzug des IR von der Schwarzwaldbahn
|  Fahrpreis und Reisezeit
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|  Kommentar zum regionalpolitischen Protest
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